»Autrement que« Husserl et »au-delà de« Heidegger. Zur Bedeutung von Emmanuel Levinas für eine künftige Geschichte des Denkens

Der Rang eines Denkens bemisst sich an dem, was es durch sich selbst »zu denken« gibt; das meint: was es an der Grenze des bislang Gesehenen als das Fragwürdige offenbar macht. Was aber ist dies im Falle von Emmanuel Levinas?

Ich will versuchen, dies dadurch in den Blick zu rücken, dass ich von den beiden Philosophen ausgehe, die sicher mehr als andere das Levinassche Denken bestimmen und zu dem herausfordern, was es als es selbst zu sagen hat: Edmund Husserl und Martin Heidegger.1

1. Husserl

Husserl war nach Bergson und vor Rosenzweig der entscheidende Moment in meinem philosophischen Leben«, so bekennt Levinas 1981 selbst und fügt dann hinzu, dass seiner Ansicht nach die »phänomenologische Besinnung… für den modernen Menschen die einzige Möglichkeit« sei, »methodisch zu philosophieren.2

Bereits die in der »Revue philosophique de la France et de l’étranger« veröffentlichte Erstlingsarbeit des 23jährigen widmet sich den »Ideen« Husserls.3 Levinas zeigt in ihr in einer bis heute klassischen Weise in der Auslegung der »Ideen«, aber zugleich im Rückgriff auf die »Logischen Untersuchungen«, was phänomenologisches Denken meint und wie es vorgeht. Zugleich wird aus anderen Texten des jungen Levinas sehr deutlich, warum ihn das phänomenologische Denken so fasziniert. Es geht in diesem Denken um die ganze ursprüngliche Fülle der Wirklichkeit und derart in letzter Instanz um die Rettung jenes Menschlichen, welches durch die Reduktionismen der Moderne gezwungen scheint, sich selbst aufzugeben. Die »phänomenologische Methode«, will diese Selbstverstümmelung des Menschen verhindern. Sie will »eine Welt zerstören, die durch die naturalistischen Tendenzen unserer Zeit — die sicherlich ihr Recht, aber eben auch ihre Grenzen haben — verfälscht und ihrer Fülle beraubt wurde, und sie will die verlorene Welt unseres konkreten Lebens wiederherstellen bzw. wieder in sie zurückfinden«.4

Wenn Levinas in demselben Text 1931 dann freilich von dem »Traum des Meisters Husserl« spricht, dann meldet sich hier verhalten bereits eine Skepsis zu Wort, die Rosenzweig ein Jahrzehnt zuvor sagen ließ: »Husserl, — zu schön um wahr zu sein«.5 Damit aber zeigt sich denn auch keimhaft, was Levinas in seinem von der Phänomenologie ausgehenden und ihre Methode benutzenden, zugleich jedoch über sie hinausgehenden Denken als er selbst und auf andere Weise als Husserl zu sagen haben wird.

Fragt man sich, woran sich gerade im Mitgehen mit der phänomenologischen Methode die Levinassche Skepsis gegenüber dem »Traum des Meisters Husserl« festmacht, so ist dies ganz ohne Zweifel die Zeitlosigkeit des transzendentalen Subjektivismus Husserls. Es ist der monadologische Ansatz, welcher Husserls Denken gerade auch noch in den Cartesianischen Meditationen bestimmt, die Levinas ja zusammen mit Gabrielle Pfeiffer ins Französische übersetzte. Gerade der mittlere Husserl versteht die Phänomenologie dezidiert als Transzendentalphilosophie, die alles zu Erkennende in die Immanenz des intentionalen Bewusstseins einholt. Die »transzendentale Subjektivität« wird zur »Urstätte aller objektiven Sinnbildungen und Seinsgeltungen«.6 Was im »originär gebenden Bewusstsein« als der letzten Rechtsquelle aller Erkenntnis7 zum Phänomen wird, wird dies in letzter Instanz für das transzendentale Subjekt, in welchem sich alle denkenden Subjekte als in der enthüllten transzendentalen Monadengemeinschaft8 finden.

Allerdings ist Husserls Denken ständig von einer Besinnung auf den Zusammenhang von Bewusstwerdung und Zeit begleitet. Husserls Vorlesungen über die »Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins« waren kurz bevor Levinas sein Studium in Freiburg begann von Martin Heidegger und Edith Stein herausgegeben worden.9 Levinas wird häufig auf sie zurückgreifen.

Jedoch wird Zeit von Husserl in diesen Vorlesungen, die ja bald nach den Logischen Untersuchungen gehalten wurden, als die in Retention und Protention in die Einheit des intentionalen Bewusstseins einzuholende Zeit verstanden. Und genau an diesem Punkt setzt nun das eigene mit den neuen Möglichkeiten der Husserlschen Phänomenologie mitgehende und doch schließlich über dieses hinausführende Denken von Levinas ein.

Es macht sich zunächst am Problem der Leibhaftigkeit jedes Erkennens fest, näherhin an dem Problem der Notwendigkeit der sensation (Empfindung) für die Konstitution von Intentionalität. Geht man von dem Ansatz eines reinen transzendental-subjektiven phänomenologischen Idealismus10 aus, so könnte man erwarten, dass die Empfindung angesichts der Konstitution des Bewusstseins durch die Intentionalität zur quantité négligeable wird. Dennoch hält Husserl, so stellt Levinas fest, am Begriff der Empfindung fest. Denn die »hyletischen Daten sind die Grundlage der Intentionalität«. Die Empfindung, so beobachtet Levinas, nimmt »in den Husserlschen Überlegungen« sogar »einen immer größeren Raum ein«.11

Schon im frühen Denken Husserls kann man ja durchaus eine Nähe zu Anliegen Humes und des Positivismus bemerken.12 Gerade dieser »Sensualismus Husserls« gestattet es — so Levinas — nun aber, den »Sinn der Intentionalität zu vertiefen«.13 Dieser erschließt sich wenn wir auf die Zeitigung des der Empfindung bedürftigen intentionalen Aktes in der Urimpression achten. Bereits hier nimmt Levinas Einsichten Heideggers und auch Rosenzweigs auf. Denn Empfinden und Empfindung (le sentir et la sensation) fallen ja nicht einfachhin zusammen, wie ein unreflektierter Sensualismus meinte. Vielmehr kann das Empfinden selbst nur als Intentionalität begriffen werden und daher als »ein geringster Abstand zwischen dem Empfinden und dem Empfundenen, eben zeitlicher Abstand. Ein betonter Augenblick, lebendig, absolut neu — die Urimpression«.14

Daraus zieht Levinas für die Phänomenalität von Zeit, wie sie sich hier zeigt, jedoch den Schluß: »In der Tat sind die Retention und die Protention Intentionalitäten, aber in ihnen fallen das Intendieren und das Ereignis (visée et événement) zusammen«.15 Dieses im Ereignis geschehende Zusammenfallen nennt Levinas »transzendierende Intentionalität«. Sie muss begriffen werden als Gegenteil einer nur retentionalen Intentionalität. Sie bezeichnet den »zeitlichen Sinn aller Transzendenz«.16

Überblickt man die Schriften von Levinas, so fällt auf wie früh das Wort »Ereignis« in das Zentrum seines Denkens tritt und welches semantische Gewicht es dort durch alle Phasen seines Œuvres hindurch behält. Bereits 1935, also noch vor Heideggers Kehre und der darin geschehenden Hinwendung zu dem »Ereignisdenken« wird in »De l’évasion« événement zu einem Leitwort: »événement qui dans l’accomplissement même de l’existence brise cette existence«.17 Im Zeitigungsgeschehen der Existenz selbst zerbricht das Ereignis die Existenz als eine scheinbar zeitlose und bricht sie derart auf. Derart kommt es aber allererst zu »Bewusstsein, Setzung, Gegenwart, Ich«, so führt »De l’existence à l’existant« diesen Gedanken fort.18 »Totalité et Infini« schließlich versteht dieses das Bewusstsein entsetzende und damit allererst setzende Gegenüber als den »unbegreifbare(n) Charakter der Gegenwart des Anderen«, als »die Exteriorität des Anderen im Verhältnis zum Selben«,19 — oder eben als die Erfahrung kat’exochen. Das so verstandene Ereignis der Erfahrung gewährt dann aber auch durch die Vorladung in die Verantwortung meine Einzigartigkeit. Und dies passiert, dies geschieht, dies ereignet sich in der Diachronie der Sprache.20

Es fällt mir schwer, in dem frühen und nachhaltigen Aufmerksamwerden von Levinas auf die Phänomenalität des Ereignisses nicht einerseits den Einfluss der Lektüre des Rosenzweigschen »Sterns der Erlösung« zu sehen. Denn in dessen Mittelpunkt steht ja die Offenbarung als das »gemäß dem ganz wirklichen Gesprochenwerden der Sprache« geschehende »ereignete Ereignis«.21 Andererseits geschieht diese Entdeckung des Ereignisses im geschehenden Augenblick ohne Zweifel im Zuge eines Sich-einlassens auf die Intentionalität in ihrem Vollzugssinn, oder Zeitigungssinn, um hier Kategorien des Denkens zu gebrauchen, die wir heute sehr gut aus den Dozentenvorlesungen Heideggers kennen.22 Levinas war auf diese Erschließung von Intentionalität in ihrer Zeitigung durch das Studium Bergsons vorbereitet. Und er verstand Phänomenologie grundsätzlich in diesem Sinne: »la phénomenologie, c’est la recherche de la mise en scène«.23 Die Zeitigung als Zeitigung, das »Sich-in-Szene-Setzen« bringt erst das volle Phänomen ans Licht. Mit diesem sich einzulassen heißt für Levinas der Devise folgen: »Zu den Sachen selbst«. »Das Bewusstsein besteht also nicht darin, dem Sein durch die Vorstellung gleichzukommen«, so formuliert programmatisch das Vorwort zu »Totalité et Infini«. Vielmehr »besteht das Bewusstsein darin«, — man wird hier in dem französischen »conscience« das deutsche Wort »Gewissen« mithören dürfen — »dieses Spiel der Lichter — diese Phänomenologie — zu überschreiten und Ereignissen (événements) gerecht zu werden, deren letzter Sinn — im Gegensatz zur Heideggerschen Auffassung — nicht darin liegt entbergend zu sein (à dévoiler). Gewiss ent-deckt (dé-couvre) die Philosophie die Bedeutung dieser Ereignisse; aber diese Ereignisse ereignen sich, ohne in der Ent-deckung (oder der Wahrheit) ihre eigentliche Bestimmung zu haben; ja, keinerlei vorherige Erschlossenheit (découverte) klärt das Hervortreten (la production) dieser wesentlich nächtlichen Ereignisse auf; sie ereignen sich ohne dass der Empfang des Antlitzes und das Werk der Gerechtigkeit — welche die Geburt der Wahrheit als dieser Wahrheit selbst bedingen — als Entbergung (dévoilement) gedeutet werden können.« Unmittelbar anschließend an diese gedrängte Exposition seines eigenen Vorgehens im Denken, seiner »Phänomeno-logie«, beruft sich Levinas dafür auf den »Stern der Erlösung« Franz Rosenzweigs«trop souvent présent dans ce livre pour être cité«.24

Die transzendierende Intentionalität, zu der Levinas derart vorstößt, und die sich in Wahrheit als diachrone oder umgestürzte, durchkreuzte Intentionalität (intentionalité bouleversée) erweisen wird,25 erlaubt es ihm nun aber, dem Problem der Sinnenhaftigkeit alles Existierens, seinem inkarnatorischen Charakter, seiner Leiblichkeit gerechter zu werden als dies von Husserls Ansatz her möglich war. Der »Gegenstand der Intention« ist »älter als die Intention«.26 Die«Urimpression« erweist sich als«die Nicht-Idealität in ausgezeichneter Weise. Die unvorhersehbare Neuheit von Inhalten, die dieser Quelle allen Bewusstseins und allen Seins entspringen, ist Urzeugung (création originelle)« wie Levinas in deutlicher Anspielung auf Husserl sagt: »Übergang vom Nichts ins Sein (in ein Sein, das sich in Sein-für-das-Bewußtsein modifiziert, ohne sich aber jemals zu verlieren)«.27 Dieses »Sich-nicht-verlieren«, dieses Getrenntbleiben wird dadurch deutlich, dass das in der Urimpression intentional Gegenwärtige die Potenz zu seiner eigenen spontanen Geschichte behält. Das intentional Gegenwärtige zeigt sich nämlich »erfüllt28 über alle Vorhersicht, alle Erwartung, alle Anlage und Kontinuität hinaus«. Die Urimpression geschieht deshalb derart, dass sie »ganz Passivität, Rezeptivität eines »Anderen« (ist), welches das »Selbe« durchdringt. Bewusstsein erweist sich so als Festhalten einer Fülle, die sich entzieht. Das Sein des Bewusstseins ist so »Altern und Suche nach einer verlorenen Zeit« — »recherche d’un temps perdu«.29

Von diesen Analysen des Zeitigungssinnes der Urimpression her wird jene Grundbestimmung einsichtig, die im Zentrum des späteren Levinasschen Denkens steht. Sie besagt, dass sich die Subjektivität selbst nur als »passivité plus passive que toute passivité antithétique de l’acte«30 verstehen könne: Passivität, passiver als alle Passivität welche antithetisch zum Akt gedacht wird. Diese Formulierung kehrt im ganzen Spätwerk in vielen Varianten wieder und trägt letzten Endes auch die Rede von dem »être ôtage pour autrui«. Sie geht aus dem Achten auf das Geschehen der Zeit selbst in der Konstitution der Urimpression hervor und sagt, dass das sterbliche Moi sich in seinem Sein selbst zu der »grossen Frage« wird, zu dem Selbst, dessen Sein keineswegs »alles« ist, wie die Seele in der Psychologie des Aristoteles.31 Deshalb findet das Selbst sich nicht nur in seine faktische Begrenztheit, sondern in eine grundsätzliche Fragwürdigkeit hineingeworfen.32 Eben deshalb erweist sich die Passivität, durch die sein Sein, d. h. sein Können stigmatisiert ist, als die Unfähigkeit zu jeder die Diachronie überwindenden Protention. Eine passivité etwa, die durch einen ausdrücklichen Akt eines protentional konstituierten Auf-sich-nehmens von etwas gesetzt würde, wäre immer noch lediglich »Passivität des Ertragens«.33 In der Konstitution von urimpressionaler Erfahrung geht es von Seiten des Subjektes her aber nicht um ein Er-warten von etwas, sondern um das reine Warten. Es geht um ein »Warten ohne irgendein Erwartetes«,34 um ein Warten angesichts des schlechthin nicht Vermochten, ein Warten angesichts des Nichts der »Unmöglichkeit aller Möglichkeiten«,35 d. h. um die »absolute Passivität, die Passivität jenseits von Aktivität und Passivität, die mit der Idee der Schöpfung gegeben ist«36 es geht um: »Die Dia-chronie der Zeit als Furcht Gottes«.37

Nun findet diese phänomenologische Deskription der passivité plus passive que toute passivité antithétique de l’acte, die in der über Husserl hinausführenden Analyse der Genese der Urimpression angelegt ist, die ganze Tiefe ihrer Bedeutung aber erst dort, wo an die Stelle des mich in der sensation angehenden anderen, der andere Mensch — autrui — die Andere und der Andere tritt.

Das mich in der leibhaftigen sensation angehende mir schlechthin Unverfügbare des Anderen, welches letztlich seine mir unverfügbare Geschöpflichkeit anzeigt, tritt in seine ganze Bedeutung ein in der leibhaften Begegnung mit dem mich in seinem Leibe angehenden und vorladenden Anderen.

An dieser Stelle legt sich nun beinahe zwangsläufig die Analogie zu Husserls 5. Cartesianischer Meditation nahe, in der dieser die (sprachlich so nur im Deutschen gegebene) Differenz von Körper und Leib entdeckt. Unter allen Körpern, die intramundan das cogito affizieren, zeichnet sich mein eigener Leib dadurch aus, dass ich in ihm »unmittelbar schalte und walte«, wie Husserl sich ausdrückt.38 In diesem Modus (und nur so) affiziert mich aber auch der andere Mensch, der »selbst leibhaft vor uns da« ist.39 Deshalb sind »ego und alter ego immerzu und notwendig in ursprünglicher Paarung gegeben«.40 Hier, so möchte man meinen, ist die Levinassche Grundfigur des »être ôtage pour autrui« bereits bei Husserl angelegt. Jedoch nimmt Husserl diese Grundkonstellation der conditio humana ausdrücklich in die »transzendentale Seinssphäre als monadologische Intersubjektivität«41 zurück. Die »transzendentale Intersubjektivität«, das »transzendentale Wir«, konstituiert die »objektive Welt intersubjektiv«. Diese Welt jedoch tranzendiert »nicht mehr im eigentlichen Sinne«, sondern wohnt der Welt selbst »als immanente Transzendenz« ein. Deshalb »gehört zur Konstitution der objektiven Welt wesensmäßig eine Harmonie der Monaden«.42

Und ähnlich stellt sich denn auch für den Heidegger des Jahres 1928 die Phänomenalität von Intersubjektivität dar.43

Im Denken von Levinas könnte sich diese »Harmonie« allenfalls als eine unendliche und in immer neuer Diachronie aufbrechende Aufgabe zeigen, welche nicht in die Einheit einer von einem menschlichen Subjekt vermochten, »gekonnten« Zeit einholbar ist. Die Erfahrung des Fremden, die in der Tat immer leibhaft geschieht, geschieht doch immer nur in einem Zeitbruch. Transzendieren heißt bei Husserl hingegen: Sich-überschreiten auf den teleologisch prinzipiell in der Potenz des Subjekts liegenden einen Horizont der transzendentalen Subjektivität hin. Der Philosoph wird derart zum »Funktionär« der Menschheit.44

Die verdankte transzendierende Intentionalität im Sinne von Levinas aber geschieht ohne dass sie in eine Gegenwart hinein aufgehoben werden kann — herausgefordert durch den mir schlechthin unverfügbaren Anderen, dessen analoge formale Anzeige bereits die Urimpression ist, — in eine offene, unvermochte Zukunft hinein — wie der Weg Abrahams. Ebenso aber geht mich der mich vorladende Andere aus der Tiefe einer mir unzugänglichen Vergangenheit heraus an, einer Vergangenheit die »zu alt ist für das Spiel der Erkenntnis«.45 Die transzendierende Intentionalität findet sich nicht in einer Korrelation, sondern in einem diachronen Unverhältnis der Infinition, — vorgeladen von der »Gloire de l’Infini«.46

Das »anders als Husserl« des Levinasschen Denkens verankert sich hier in einem Ausbruch aus einem Wahrnehmen von Zeit, das letztlich immer noch Maß nimmt an dem klassischen griechischen Verständnis von Zeit als dem »gezählten Abbild der Ewigkeit«,47 einem »parler du temps en termes de temps« hin zu einem Verständnis von Zeit als frei sich zutragender Geschichte, einem unmittelbaren »parler… événements temporels«.48 Die Formulierung von Levinas erinnert deutlich an Rosenzweigs Unterscheidung zwischen »Zeit, in der etwas geschieht«, nämlich transzendental überschauter Zeit, in der etwas loziert werden kann, — und »Zeit, die als sie selber geschieht«.49

2. Heidegger

Nun geschieht dieser Schritt in ein Grundverständnis von Wirklichkeit hinein, welches diese als Zeit versteht, nicht nur im Horizont des »Sterns der Erlösung« Rosenzweigs, sondern er geschieht ebenso dank der Begegnung des jungen Levinas mit Heideggers »Sein und Zeit«. »Heideggers Sein und Zeit, … das ist ein Buch, das man nur dem Phaidros von Plato, der Kritik der reinen Vernunft von Kant und der Phänomenologie des Geistes von Hegel vergleichen kann. Ich gestehe es jedes Mal offen, obgleich ich den Heidegger von 1933/34 nie entschuldigen konnte«, so beschreibt Levinas 1981 selbst die Bedeutung, die »Sein und Zeit« für ihn hatte.50 Heideggers epochemachendes Werk signalisierte für Levinas einen Durchbruch, der ein von Grund auf neues Denken ermöglichte. Dieses erlaubte es zunächst einmal in einem ganz neuen Sinn, das Selbst und dessen Sich-entscheiden in den Mittelpunkt des phänomenologischen Fragens nach der Wirklichkeit zu stellen. Prinzipiell war damit der Raum nicht nur für eine Fundamentalontologie, sondern ebenso — und im Grunde vorher schon — für eine Fundamentalethik eröffnet.51 Levinas hörte in Freiburg im Wintersemester 1928/29 Heideggers Vorlesung »Einleitung in die Philosophie«, in welcher dieser die zentrale These vortrug, dass der Ort der Wahrheit »nicht der Satz« sei, »sondern das Dasein«.52

Jedoch wird man gerade wenn dies als die Ausgangsposition deutlich geworden ist, sehen müssen und genauer sagen können, in welcher Weise das Levinassche Denken auch über das Heideggers hinausgeht. Dazu gibt es mittlerweile viele verdienstvolle und detaillierte Untersuchungen.

Ich möchte mich bei dem von mir Darzulegenden unter dem Hinblick auf den für das Denken des 20. Jahrhunderts entscheidenden Durchbruch zu der Einsicht in die Zeitigung von Wirklichkeit darauf beschränken, das Augenmerk auf drei Momente zu lenken.

1) Wenn Heidegger in der Vorlesung von 1928/29 formuliert: »Die Seinsart des Daseins im Unterschied von der des Vorhandenen suchen wir in der Orientierung am Miteinandersein von Dasein und Dasein zu bestimmen«,53 so kann man zunächst meinen, es sei in dieser »Orientierung am Miteinandersein von Dasein und Dasein« — formal zumindest — das Programm des Levinasschen Denkens, das seine Mitte in der assignation, in der Vorladung durch den Anderen hat, vorweggenommen. Bei genauerem Zusehen zeigt sich aber, dass dies keineswegs so ist. Den Grund dafür findet man leicht, wenn man sich Rechenschaft darüber zu geben versucht, was in der Vorlesung Heideggers von 1928 unter dem »Miteinandersein von Dasein und Dasein« verstanden wird. Heidegger sieht, dass dieses Miteinandersein als das vom Denken Erfragte nicht durch ein »gegenseitiges Sicherfassen« (also z. B. auch nicht durch »Einfühlung«) konstituiert sein kann.54 Worin gründet dann aber das Miteinandersein von Dasein und Dasein? Worin liegt »positiv das Wesen des Miteinander«? Heideggers fundamentalontologische Antwort auf diese Frage heißt: im Sein. Heidegger gibt dafür das Beispiel der beiden Wanderer im Gebirge, die beide gleichermaßen von dem grandiosen Anblick der Landschaft fasziniert sind. »Wenn das Für-einander-offenbar-sein eine Hinweisung enthalten soll auf das Wesen des Miteinander, dann werden wir es am Ende dort antreffen, wo wir ein Miteinander feststellten, z. B. im Hingenommensein der beiden Wanderer von dem Anblick«.55 Das, was alles — und darin auch das Miteinander von Dasein und Dasein — ermöglicht, ist der transzendentale Horizont des Seins, der sich freilich selbst ereignet und dem sich Dasein verdankt. Dies ist richtig beobachtet. Und es fügt sich zudem, wenn man so will, durchaus in eine gewisse Fortführung des überlieferten Partizipationsdenkens ein. Überdies ist es nicht unerheblich, dass Heidegger dieses Verhältnis ganz parallel zu der Weise in der Husserl dies in denselben Jahren in den »Cartesianischen Meditationen« tat, mit Hilfe der Leibnizschen Monadologie erläutert.56

Levinas nimmt jedoch das Unvermögen des Daseins als des faktischen geschichtlichen Moi im Hinblick auf einen letztgültigen »transzendentalen Horizont des Seins« bis zu seiner Neige ernst. Darin erscheint er im Sinne einer Hermeneutik der Faktizität als der radikalere Phänomenologe. Das faktische Moi erfährt sich nämlich, wenn es denn den Kelch seiner selbst bis zur Neige leert, keineswegs als das Vermögen des eigenen Nichts. Es erfährt keineswegs seinen Tod als die »eigenste, unbezügliche unüberholbare Möglichkeit«.57 Vielmehr zeigt sich mir der Tod letztlich als »die Unmöglichkeit der Möglichkeit«,58 welche mich zwingt, nicht die Zeit von dem Dasein zum Tode her, sondern den Tod von der Zeit her zu denken.59 Levinas gibt zunächst mit Heidegger das Grundschema auf, welches für Husserl konstitutiv für das innere Zeitbewusstsein war. Zeit bedeutet auf andere Weise als nur in der des retentional — protentionalen Verlaufs. Aber Levinas geht zugleich über Heidegger dadurch hinaus, dass er das Sich-zeitigen der Zeit nicht aus dem Dasein zum Tode versteht, sondern als die unzurückführbare60 »Beunruhigung des Selben durch das Andere« (inquiétude du Même par l’Autre).61

Der Andere und die Andere begegnen mir wie der Tod: als Unmöglichkeit meiner Möglichkeit.

2) Deshalb versteht Levinas das Selbst, le Moi denn auch nicht essentiell als ein Neutrum wie Heidegger: »In seinem Wesen ist das Seiende, das wir je sind, der Mensch, ein Neutrum. Wir nennen dieses Seiende: das Dasein«,62 — so Heidegger. Für Levinas hingegen bin ich (moi) der, der ich (Mann) in dem Weiblichen der Unmöglichkeit meiner Möglichkeit begegne.63

3) Dieses Hinausgehen über Heidegger, das sich jedem Vorgriff auf ein transzendentales »Sein« versagt — d. h. das diesem Vorgriff gegenüber epoche übt —, ist seinerseits nun allerdings wiederum in Zusammenhang mit dem Bekenntnis zu dem allein Einen zu sehen. Und dieses Bekenntnis trägt sich ständig im Denken von Levinas zu.64

Das Levinassche Denken ist wie von einem Grundton von dem immer wieder zwischen den Zeilen zu vernehmenden Schema Israel durchzogen. Man kann das ganze Levinassche Denken so als eine »Heiligung des Namens« (Kiddusch haSchem) verstehen. Letztlich deshalb kritisiert Levinas die berühmte Climax65 des Humanismusbriefes, die wie eine Rekapitulation der gesamten abendländischen Onto-Theologie erscheint und der gemäß sich erst aus der »Wahrheit des Seins« das »Wesen des Heiligen« denken lässt und erst aus diesem das »Wesen von Gottheit« und erst »im Lichte des Wesens von Gottheit« gedacht und gesagt werden kann, »was das Wort Gott nennen soll«.66 In dieser Climax spricht die Denkweise einer hermeneutischen Phänomenologie der Faktizität, die, wie auch immer, des Horizontes des Seins bedarf, um denkend, d. h. verstehend Bedeutungen zur Sprache bringen zu können.

In dem die Sprache gründenden Angesprochenwerden meiner selbst jedoch, der ich mich in meiner Zeitlichkeit, d. h. meinem Altern, durch den aus einer unvordenklichen Vergangenheit auf mich zukommenden und in eine unausdenkliche Zukunft herausfordernden Anderen vorgeladen finde,67 zeichnet sich«die rein formale Möglichkeit der Nominalform« ab, die in keine bloße Partizipation am »sein« aufzulösen ist: der Name. »Die Nominalform, die Form des Begriffs als Begriff, des Einen in diesem Begriff ist irreduzibel auf die Verbalform. Jene Nominalform kommt von anderswo her als die Verbalform des sein«.68 Unmittelbar an diese Analyse der Sprachgestalt des Eigennamens, schließt Levinas dann aber eine gewichtige Anmerkung an. Diese klärt, dass das beim Namen gerufene Moi einerseits selbstverständlich als leibhaftig sterblich zeitliches am Sein »teilhat«; wenngleich es andererseits als »Ich bin« »einzig und ohne Gattung die Individualität (als einordnenden Horizont BC) flieht«. Und daran anschließend heißt es: »Indes: der Name außerhalb des sein oder jenseits des sein, das Individuum vor der Individualität — heißt Gott«.69

Aus dieser Einsicht heraus entwickelt Levinas seine Kritik an der Climax des Humanismusbriefes.

Derart geht Levinas über Heidegger hinaus, indem er alles in einem andersanfänglichen Denken aus dem Bekenntnis zu dem Einen und dem Fundierungszusammenhang der Geschöpflichkeit heraus zu denken versucht.70

Alleine so kann dann aber auch die Menschlichkeit des Menschen gerettet werden… Alleine so können das Selbst-sein-dürfen meiner selbst und das des Anderen selbst bewahrt werden. Kants kategorischer Imperativ ist nur einsichtig, wenn sowohl der Andere wie ich selbst unbedingt beim Namen gerufen worden sind, wenn wir als Geschöpfe einer unendlichen Güte verstanden werden dürfen, die uns aber zugleich und in einem als uns selbst vorlädt.

Erst wenn dies verstanden ist, ist das Denken bei der Wahrheit der tatsächlichen menschlichen Geschichte.

Die Bedeutung dieses Durchbruchs für ein jedes künftige Denken liegt auf der Hand.

Denn die menschliche Bemühung des Denkens kann in unserer Gegenwart und Zukunft, in der wir am Abgrund eines technisch heute möglichen Gattungsselbstmordes dahintaumeln, weniger als je zuvor ein nur unverbindliches sich selbst befriedigendes Spiel sein. Philosophieren muss in der Tat in einem radikalen Fragen bestehen. Es muss sich verstehen als »das reine Fragen des auf sich selbst gestellten Daseins«.71 Dieses Fragen aber kann, vorgeladen durch den unbedingt Anderen, ohne aufzuhören Fragen zu sein, dahin eine Kehre und Bekehrung erfahren, dass es sich künftig als Denken »en service de…« versteht: »en service de la justice«, um »derentwillen im »sein« alles sagbar wird und sich zeigt«.72 Das Bemühen des Denkens kann sich verstehen als ein Fragen nach der Weisheit im Dienste jener uns gründenden Liebe, die uns von dem unaussprechbaren EINEN her als der äußerste An-spruch vorlädt in unsere Ver-antwortung für die Geschichte, welche uns aufgegeben ist und für die Welt, in welcher wir uns als die geschichtlichen Wesen finden: Philosophieren als eine fragende recherche du temps perdu, welche sich jedoch zugleich und in einem als die recherche du temps sauvé73 erweist.

Nach einer Bemerkung des frühen Heidegger heißt Philosophieren, sich zu der Hauptsache durchfragen.74 Emmanuel Levinas hat sich mit seinem Denken zu der »Sache« durchgefragt, die für eine künftige Menschheitsgeschichte — soll es sie denn noch geben — die unüberholbare Hauptsache ist.

Relazione tenuta al Convegno internazionale Visage et infini. Analisi fenomenologiche e fonti ebraiche in Emmanuel Levinas, Roma 24-27 maggio 2006. Gli atti sono pubblicati nel volume a cura di Irene Kajon, Emilio Baccarini, Francesca Brezzi, Joelle Hansel, Emmanuel Levinas. Prophetic Inspiration and Philosophy, Giuntina, Roma 2008.


  1. Die Werke von Levinas, Heidegger, Husserl und Rosenzweig werden folgendermaßen zitiert: Emmanuel Levinas - AQ=Autrement qu’être ou au-delà de l’essence, La Haye 1974; DD=De Dieu qui vient a l’idée, Paris 1982; DEHH=En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger, Paris 1974; DMT=Dieu, la Mort et le Temps, Paris 1993; E=De l’évasion, Montpellier 1982; EE=De l’existence à l’existant, Paris 1977; EN=Eigennamen, München 1988; GTZ=Gott, der Tod und die Zeit, Wien 1996; HaH=Humanisme de l’autre homme, Montpellier 1972; HaM=Humanismus des anderen Menschen, Hamburg 1989; I=Les imprévus de l’histoire, Montpellier 1994; JS=Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, Freiburg 1992; SMB=Sur Maurice Blanchot, Motpellier 1976; SpA=Die Spur des Anderen, Freiburg 1983; TA=Le temps et l’autre, Montpellier 1979; TI=Totalité et Infini, La Haye 1974; TU=Totalität und Unendlichkeit, Freiburg 1987; UG=Die Unvorhersehbarkeiten der Geschichte, Freiburg 2006; ZA=Die Zeit und der Andere, Hamburg 1984. Martin Heidegger - Ga=Gesamtausgabe, Frankfurt a. M. (Vittorio Klostermann). Edmund Husserl - Hua=Husserliana. Gesammelte Werke, Den Haag 1950 ff. Franz Rosenzweig - GS=Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften, Den Haag-Dordrecht 1976-1984. ↩︎

  2. Videointerview SWF »Geisel für den Anderen« (11. Juni 1981); Niederschrift S. 4. Tschechisch: Rozhovor Emanuela Lévinase s Bernhardem Casperem. 11. června 1981 v Paříži. In: »Být pro druhédo«, Praha, Zvon 1997, S. 15-31. Spanisch: El rostro, la primogenitura y la fecundidad. Diálogo con Emmanuel Levinas el 11 de junio de 1981 en Paris. In : »Revista de Filosofia« 107. Lomas de Santa Fe, Mexico, mayo-agosto 2003, S. 19-28. ↩︎

  3. Sur les »Ideen« de M. E. Husserl (1929) I, S. 45-93 = UG, S. 37-78. ↩︎

  4. I, S. 102 = UG, S. 86. ↩︎

  5. Dieses Urteil Franz Rosenzweigs über das Denken Husserls, den er allerdings 1919 nur kurz kennenlernte, teilte mir Frau Edith Scheinmann-Rosenzweig in den 70er Jahren mündlich mit. ↩︎

  6. Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, Hua VI (²1969), S. 102. ↩︎

  7. Hua III, 1, S. 43; außerdem Hua III, 1, S. 7; 44; 52; 185. ↩︎

  8. Hua I, 121f. »Enthüllung der transzendentalen Seinssphäre als monadologische Intersubjektivität«. ↩︎

  9. Edmund Husserl, Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins, hg. von Martin Heidegger und Edith Stein. In: »Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung», Bd. 9 (1928). ↩︎

  10. DEHH, S. 146 = SpA, S. 156. ↩︎

  11. DEHH, S. 148 = SpA, S. 160. ↩︎

  12. Vgl. dazu »Historisches Wörterbuch der Philosophie« 7, S. 165. In der Interpretation von Levinas DEHH, S. 156 = SpA, S. 174; ferner UG, S. 42: Phänomenologie: Versöhnung zwischen dem Rationalismus und Empirismus. Außerdem TI, S. 170 = TU, S. 280. ↩︎

  13. DEHH, S. 152 = SpA, S. 166. ↩︎

  14. DEHH, S. 153 = SpA, S. 167-168. ↩︎

  15. DEHH, S. 153 = SpA, S. 168. ↩︎

  16. DEHH, S. 153 = SpA, S. 168. ↩︎

  17. De l’évasion (1982), S. 99. Vgl. dazu auch a.a.O., S. 76. ↩︎

  18. EE, S. 141-142. ↩︎

  19. TI, S. 169-170 = TU, S. 277-278. ↩︎

  20. Vgl. dazu TI, S. 169-170. Es geschieht auch in der stummen »Sprache vor der Sprache«. Vgl. dazu die Geschichte von der bei Husserl eingeladenen aber stumm bleibenden Japanerin: » ‘Sie war!’ - Sehen Sie, das Sein ist ein Ereignis«. HaM, S. 146. Interview mit v. Wolzogen. ↩︎

  21. GS 2, S. 194 und 178. Vgl. dazu auch Bernhard Casper, Das dialogische Denken.2.Aufl. Freiburg (Alber) 2002, S. 105-166. Ders., Erlebnis und Ereignis. Zum Geschick und zur Bedeutung zweier Worte. In: Stephan Loos und Holger Zaborowski (Hgg), Leben, Tod und Entscheidung. Studien zur Geistesgeschichte der Weimarer Republik, Berlin 2003 (Duncker und Humblodt), S. 115-131. Ders, Religion der Erfahrung. Einführungen in das Werk Franz Rosenzweigs, Paderborn (Schöningh) 2004, insbesondere S. 85-100. ↩︎

  22. Vgl. Ga 60, S. 248. Ga 61, S. 31; 53; 106. ↩︎

  23. Vgl. HaM, S. 142. Interview mit v. Wolzogen. ↩︎

  24. TI, S. XVI; vgl. TU, S. 30. In dem deutsch wiedergegebenen Textteil lege ich hier eine eigene Übersetzung vor. ↩︎

  25. Vgl. DEHH, S. 196 und 225 = SpA, S. 225 und 275. AQ, S. 60-61 = JS, S. 114-115. ↩︎

  26. DEHH, S. 154 = SpA, S. 171. ↩︎

  27. DEHH, S. 155 = SpA, S. 173. Hinter »création originelle« gibt Levinas ausdrücklich das deutsche Wort »Urzeugung« in Klammern an und verweist damit auf Husserl. ↩︎

  28. angefüllt - comblé ↩︎

  29. DEHH, S. 156 = SpA, S. 173. ↩︎

  30. AQ, S. 91 = JS, S. 164: »… toute la gravité du corps extirpée de son conatus. La passivité plus passive que tuote passivité anthithétique de l’acte, nudité plus nue que toute académie, nudité s’exposant jusqu’à l’épanchement, à l’effusion et à la prière,une passivité qui ne se réduit pas à l’exposition au regard de l’autre, mais vulnérabilité et dolence s’épuisant comme une hémorragie …«. Vgl. ferner AQ, S. 117 = JS, S. 207; AQ, S. 176 = JS, S. 303; AQ, S. 227 = JS, S. 385: »L’exposition precede l’initiative - que prendrait un sujet volontaire - de s’exposer… passivité plus passive que la passivité de la matière«. Ferner: DD, S. 184 = WG, S. 164: »passivité plus passive que toute passivité du subir«. DEHH, S. 156 = SpA, S. 173. DEHH, S. 233 f. = SpA, S. 288-289. Schließlich: La substitution. In: «Revue philosophique de Louvain» (1986), S. 497 = SpA, S. 313: »… la passivité absolue - en deçà de l’activité et de la passivité - qu’apporte l’idée de la création«. Dazu merkt Levinas an: »Cette liberté enveloppée dans une responsabilité qu’elle n’arrive pas à endosser - est la façon de la créature, de la passivité illimitée de soi, de l’in-condition de soi«. ↩︎

  31. Psyche pos esti panta. Peri psyches 431 b 21. ↩︎

  32. Wiederum liegt es nahe, hier auf die Analogie zu Rosenzweig hinzuweisen, nämlich auf den Beginn des Sterns der Erlösung und die Konstitution des meta-ethischen Selbst in Stern I. ↩︎

  33. So übersetzt Wiemer WG, S. 164; DD, S. 184. Man kann die an dieser Stelle erwähnte »Ge-duld und Länge der Zeit« als Zitat der Fabel La Fontaines »Le Lion et le rat« (Fables II, fable XI) lesen. Dort heißt es allerdings: »longueur de temps«, und nicht wie bei Levinas »du temps«. Zeit wird bei La Fontaine als numerus motus verstanden, in der etwas geschieht, Zeitverlauf; bei Levinas hingegen als Ereignis der Zeit selbst. Vgl. dazu AQ, S. 43 = JS, S. 87. Dort unterscheidet Levinas in seiner Husserlkritik: »Von der Zeit im Begriff des Fließens sprechen, heißt von der Zeit im Begriff der Zeit und nicht zeitlicher Ereignisse sprechen«. Die Parallele zu Rosenzweigs Unterscheidung zwischen »Zeit, in der etwas geschieht« und »Zeit, die selber geschieht« (GS 3, S. 148) legt sich nahe. ↩︎

  34. WG, S. 164 = DD, S. 184. ↩︎

  35. Vgl. dazu DMT, S. 123-136. ↩︎

  36. La substitution, a.a.O., S. 497-498 = SpA, S. 313. Die »passivité plus passive que toute passivité du subir« (DD, S. 184 = WG, S. 164) kann deshalb auch nicht mit Husserls »passiver Synthesis« gleichgesetzt werden. Denn qua Synthesis wird diese in die Totalität des Bewusstseins der transzendentalen Subjektivität eingeholt. »… in jedem Fall, und schon in der Passivität ist doch all das bereit, was die Leistung des aktiven Ich ermöglicht…« (Hua XI »Analysen zur passiven Synthesis«, S. 209). Bei Levinas geht es aber um die Fragwürdigkeit des Seinkönnens der transzendentalen Subjektivität selbst. Diese Fragwürdigkeit bricht in der Verantwortlichkeit auf. In TI, S. 103 = TU, S. 183 kritisiert Levinas Husserl folgendermaßen: »Der bedürftige und nackte Leib ist diese eigentliche Verwandlung des Sinnes. Eben dies ist die tiefe Einsicht des Descartes, wenn er den sinnlichen Gegebenheiten den Rang klarer und deutlicher Ideen vorenthält, wenn er sie auf den Leib bezieht und sie dem Nützlichen zuordnet. Eben dies macht seine Überlegenheit über die Phänomenologie Husserls aus, die der Noematisierung keine Grenzen setzt. In den Cartesianischen Meditationen sagt Husserl (Hua I, S. 120): ‘Passive Genesis in der Bildung von immer neuen Intentionalitäten… ohne jede aktive Beteiligung des Ich’«. In AQ spricht Levinas dann allerdings von der »passiven Synthesis des Lebens«, die das Moi zur Verantwortung, dem Geisel-sein-für-den-Anderen herausfordert. ↩︎

  37. WG, S. 165 = DD, S. 184. ↩︎

  38. Hua I, S. 128. ↩︎

  39. Hua I, S. 139. ↩︎

  40. Hua I, S. 142. ↩︎

  41. Hua I, S. 121. ↩︎

  42. Hua I, S. 137-138. Der Schluss der zitierten Passage ist durch Sperrung hervorgehoben und derart als Leittext ausgezeichnet. ↩︎

  43. Ga 27, S. 142f. ↩︎

  44. Hua VI (Die Krisis der europäischen Wissenschaften), S. 15. ↩︎

  45. DEHH, S. 214 = SpA, S. 255-256. ↩︎

  46. DEHH, S. 212-215 = SpA, S. 252-258. ↩︎

  47. Vgl. Platon, Timaios 37d 6-7; Aristoteles, Physik 219b 1-2; Augustinus, Confessiones XI, 29, 39. ↩︎

  48. AQ, S. 43 = JS, S. 87. Vgl. dazu auch AQ, S. 95 = JS, S. 27 und DD, S. 184 = WG, S. 164. Vgl. auch Bernhard Casper, Zeit und messianische Zeit. Zu einem Grundphänomen des religiösen Geschehens. In: Scientia et Religio. Religionsphilosophische Orientierungen. FS Gerl, Dresden 2005, S. 97-110. ↩︎

  49. Vgl. dazu auch oben Anmerkung 32. Hervorhebungen BC. ↩︎

  50. Videointerview vom 11.6.1981 für den SWF, vgl. oben Anm.1. ↩︎

  51. Inwiefern Heidegger diesen Raum wahrgenommen und ausgearbeitet hat, bleibt eine andere Frage. ↩︎

  52. GA 27, S. 109. »(oder gar umgekehrt)«. Die Anmerkung d. Hg. erläutert: »dass der Wesensort des Daseins die Wahrheit als Unverborgenheit« ist. Im Sinne von Levinas müsste man formulieren: »… als Verantwortung ist«↩︎

  53. Ga 27, S. 109. ↩︎

  54. Ga 27, S. 87. ↩︎

  55. Ga 27, S. 88. ↩︎

  56. Ga 27, S. 142-145 (§ 19). Dazu, dass bei Heidegger nach Levinas der Andere partizipativ von dem In-der-Welt-sein her gedacht wird, vgl. HaM, S. 135. Bei Husserl vgl. Hua 1, S. 121-183. ↩︎

  57. Vgl. dazu SuZ §§ 49-53, hier SuZ, S. 250: »so enthüllt sich der Tod als die eigenste, unbezügliche, unüberholbare Möglichkeit«. ↩︎

  58. SMB, S. 16 = EN, S. 31; ferner DMT, S. 123-136. ↩︎

  59. DMT, S. 123 = GTZ, S. 117. ↩︎

  60. In Anlehnung an Goethe und Rosenzweig könnte man formulieren: urphänomenale Beunruhigung. ↩︎

  61. DMT, S. 126 = GTZ, S. 120. ↩︎

  62. Ga 27, S. 146. ↩︎

  63. Zwar hatte auch Heidegger formuliert: »Aber zum Wesen dieses Neutrums gehört es, dass es, sofern es je faktisch existiert, notwendig seine Neutralität gebrochen hat, d.h. das Dasein ist als je faktisches je entweder männlich oder weiblich… Allein gerade dieses Geschlechtsverhältnis ist nur möglich, weil das Dasein in seiner metaphysischen Neutralität schon durch das Miteinander bestimmt ist«. Bei Levinas wird gerade dieses Miteinander aber zu dem ersten Problem, zu dem ersten mich Vorladenden, mit welchem sich transzendierende Intentionalität als ursprüngliches Fragen einlassen muß. Deshalb stellt für ihn das Mann-sein oder Frau-sein auch kein gebrochenes, sondern ein je vollständiges Mensch-sein dar, das allerdings in die Verantwortung gerufen ist. In gnostischen Übersetzungen von Genesis 1,27 ins Griechische findet man oft «epoiesen auton« (nämlich den einen männlich-weiblichen Urmenschen) statt «epoiesen autous» (nämlich: «erschuf er sie»: Mann und Frau). Mit Recht bemerkt Krewani in seiner neuen Levinasinterpretation Es ist nicht alles unerbittlich. Grundzüge der Philosophie E. Levinas, Freiburg (Alber) 2006, S. 285, dass Heideggers Denken in SuZ auf Einheit in einer umfassenden Gegenwart ziele und der Gegensatz, den Levinas dazu aufstelle, »dass Sein als die sich entziehende Zeit« sei. ↩︎

  64. Diese Grundtendenz, wenn man will, diese Radikalisierung des intentionalen phänomenologischen Ansatzes in eine von dem biblischen Denken bestimmten Ansatz erkennt J. Rolland mit Recht bereits in »De l’évasion«: »… l’appel à passer le monde plus qu’à s’y installer…: à aller au-delà de l’être« (E, S. 120). ↩︎

  65. Ga 9, S. 351. Für Levinas ist der (Eigen)Name der Fels, an dem jede Hypostasierung von Transzendentalität zerbricht. Dieser Charakter des Namens zeigt formal jedoch die Unausweichlichkeit des Namens schlechthin an, nämlich die des EINEN. Diesen kann und darf man deshalb nicht aussprechen. Dieser Zusammenhang zwischen dem Eigennamen des »individuum ineffabile« und dem Namen schlechthin des Einen erscheint ebenfalls bei Rosenzweig grundgelegt. Vgl. dazu dessen Faustkritik in GS 2, S. 209. Rosenzweig hat Margret Susman gegenüber diese Passage über den Namen als den »Kern- und Mittelsatz« des ganzen Stern bezeichnet (GS 1, S. 752; vgl. GS 1, S. 413). ↩︎

  66. Ga 9, S. 351. ↩︎

  67. Vgl. AQ, S. 12 = JS, S. 40. ↩︎

  68. AQ, S. 68 = JS, S. 127. Vgl. dazu auch DEHH, S. 216 = SpA, S. 260: »… l’Un - que toute philosophie voulait dire - de l’au delà de l’être«. ↩︎

  69. JS, S. 127-128 = AQ, S. 68. ↩︎

  70. Ob sich nicht bei dem Heidegger des Ereignisdenkens und seinem Versuch aus dem Verhältnis des Sich-verdankens heraus zu denken gerade auch dazu Ansätze finden, bleibe hier dahingestellt. ↩︎

  71. GA 9, S. 65. ↩︎

  72. AQ, S. 207 = JS, S. 353-354. ↩︎

  73. TI, S. 261 = TU, S. 416 »un temps achevé - triomphe messianique«. Vgl. dazu auch Bernhard Casper, Zeit und messianische Zeit. Zu einem Grundphänomen des religiösen Geschehens. In: René Kaufmann, Holger Ebelt (Hgg.), Scientia et Religio. Religionsphilosophische Orientierungen. FS Gerl, Dresden 2005, S. 97-108. ↩︎

  74. GA 61, S. 12. ↩︎